Häufig gestellte Fragen
Debatte um Sozialtickets dreht sich häufig immer um die gleichen Punkte: Kreis der Berichtigten, Finanzierung, Umfang, Regelungen bei der Einführung, usw. In der Broschüre "Leitfaden Sozialticket. Informieren - Anfangen - Durchsetzen" (Berlin, 2008) der Bundestagsfraktion DIE LINKE. wurden die häufigsten Fragen zusammengefasst und beantwortet. Wir haben sie hier dokumentiert. Die ganze Broschüre findet ihr hier.
Reicht es nicht aus, wenn die Betroffenen die 9-Uhr-Karte nutzen?
Die 9-Uhr Karte kostet weniger als eine reguläre Karte und gilt nur zu bestimmten Tageszeiten. Kerngedanke ist die Vermeidung einer Überlastung der Verkehrsmittel in den Hauptverkehrszeiten; sie ist ein soge- nanntes Schwachlastticket. Leider geht sie in vielen Fällen am Bedarf der Menschen vorbei und grenzt systematisch aus. Geringverdiener/innen beispiels- weise, die morgens zur Arbeit fahren, können dieses Angebot nicht nutzen.
Wie hoch sind die Kosten eines Sozialtickets für die Kommune?
Die Höhe der Kosten richtet sich natürlich nach dem Preis des Sozialtickets, den eventuell geforderten Ausgleichsansprüchen des Verkehrsträgers und der Nutzerzahl. Der Verkehrsträger bietet das Sozialticket meist nur an, wenn die Kommune seine Einnahme- ausfälle durch Ausgleichszahlungen kompensiert. Vom Verkehrsträger werden die Einnahmeausfälle aber überwiegend viel zu hoch angesetzt. Die Folge ist, dass sich die Stadt davor scheut, ein Sozialticket einzuführen. Die tatsächlichen Kosten jedoch sind oft geringer. Leider existieren zurzeit zu wenige Erhebungen über die Nutzerzahlen und das Verkehrsverhalten nach Einführung eines Sozialtickets. Auch lassen sich die Erhebungen über Fahrgastzahlen, Verkehrsströme und Änderungen der Einnahmen nicht problemlos auf andere Kommunen übertragen. Eine für die Stadt Köln durchgeführte Studie zeigt jedoch, dass mit der Einführung des Sozialtickets neue Fahrgäste gewonnen wurden und die Zahl der „Schwarzfahrten“ abnahm. Dadurch wurden die Einnahmeverluste aufgefangen, und die Ausgleichszahlungen der Stadt Köln konnten auf ein Viertel des in den Haushalt eingestellten Betrags reduziert werden. Sicher ist, die Nutzung des Sozialtickets stieg in den Jahren nach der Einführung kontinuierlich. In den Landkreisen Wernigerode und Quedlinburg, wo es von 1995 bis 2007 ein Sozial- ticket als Bestandteil eines Sozialpasses gab, hat man diesen Effekt vorhergesehen. Die zuständige Verkehrsgesellschaft wusste, dass eine Win-win- Situation entstehen würde, von der auch sie profitiert, und verzichtete daher auf Kompensationsleistungen. Nach wie vor kommt das Verkehrsunternehmen ohne Subventionen aus. Nach der Kreisgebietsreform 2007 in Sachsen-Anhalt wurde das Sozialticket im Februar 2008 für vorerst ein Jahr auch auf den neu entstande- nen Landkreis Harz ausgedehnt. Am Beispiel der Städte Hannover, Dresden und Köln untersucht eine im Auftrag der Bundestagsfraktion DIE LINKE. in Auftrag gegebene Studie die Machbarkeit und Finanzierbarkeit. Die Studie findet ihr hier als PDF-Download.
Welche Finanzierungsmöglichkeiten gibt es?
Es ist nicht Aufgabe von Bürgerinitiativen oder Einzel- personen, ein Modell der Gegenfinanzierung zu erarbeiten. Das ist eher Aufgabe der jeweiligen Mandats- träger des zuständigen Parlamentes und vornehmlich der Verwaltung. Das schließt aber nicht aus, dass die Frage der Finanzierung in einem öffentlichen Prozess diskutiert werden sollte. So hat sich die Stadt Dortmund als Eigentümerin der Stadtwerke nach einem längeren Diskussionsprozess entschieden, auf einen Teil der erwirtschafteten Überschüsse der Stadtwerke zu verzichten, um mit diesen Mitteln das Sozialticket zu finanzieren.
Zum anderen besteht für die Kommune natürlich immer die Möglichkeit, entsprechende Prioritäten in der Haushaltspolitik zu setzen. Allerdings sollte den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit gegeben werden, sowohl autonom als auch mit Politik und Verwaltung über ihre Prioritäten diskutieren zu können. Förderlich für die Diskussion um Finanzierungsmöglichkeiten ist in jedem Fall eine gesamtgesellschaftli- che Betrachtung. Die Einführung eines Sozialtickets hat eine arbeitsmarktpolitische, ökonomische, ökologische, stadtpolitische, demokratische und soziale Dimension. Finden all diese Dimensionen Berücksichtigung, kommt die Kommune mittel- und langfristig auch in fiskalischer Hinsicht zu einem Plus. Wie eine solche Herangehensweise praktiziert werden kann, hat die Verwaltung des Rates der Stadt Leipzig mit ihrer Vorlage für die Ratsversammlung anschaulich gezeigt. (http://www.sozialticket.info/vorlage-leipzig.pdf).
Kann eine Stadt bzw. ein Landkreis, der sich in der Haushaltskonsolidierung befindet, ein Sozialticket einführen?
In der Diskussion über Pro und Contra der Einführung eines Sozialtickets ist in der Regel die Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung ein Hauptargument dagegen. Die Kassierung der Entscheidung des Leipziger Stadtrates zur Einführung eines Sozialtickets scheint diese Position noch zu stützen. Eine Analyse realer Haushaltspolitik bzw. der Bewirtschaftung von öffentlichen Mitteln im Haushalt eines laufenden Jahres führt jedoch zu anderen Schlüssen. Nur zwei Beispiele: Für Bochum stellt sich zum Beispiel die Frage, warum die Stadt für den Bau einer Stadthalle 1,6 Mio. Euro zur Verfügung stellen kann, aber für das Sozialticket, das nur etwas mehr als die Hälfte dieser Summe kosten würde, kein Geld da ist. In Leipzig wollten die Verkehrsbetriebe (LVB) an einem Ausschreibungs- verfahren der Verkehrsbetriebe der Stadt Melborn teilnehmen. Für das Verfahren hätten die LVB 2 Mio. Euro zahlen müssen. Der für das Sozialticket notwen- dige Zuschuss der Stadt beträgt 1,6 Mio. Euro. Wenn es um die Finanzierung des Sozialtickets geht, sollte man in jedem Fall eine Budgetanalyse erstellen und eine volkswirtschaftliche Rechnung für die Stadt bzw. den Landkreis machen. Es gilt nicht, die Frage zu beantworten, was kurz-, sondern was mittel- und langfristig für das Gemeinwesen wichtig ist und sich auch rechnet. Sicher eine Frage, die für Politiker/innen, die in Legislaturperioden denken, eher unbequem bzw. uninteressant ist. Für die Kommune hingegen ist sie überlebenswichtig. Und es gilt, die Frage zu beantworten: Wofür werden Steuermittel ausgegeben, und welche Wirkungen werden dadurch erzielt? Diese Frage stellt sich unabhängig davon, ob sich die Kommune in der Haushaltskonsolidierung befindet oder nicht.
Ist das Sozialticket auch das richtige Instrument für Landkreise und Flächenländer?
Gegner des Sozialtickets behaupten, es sei für ländliche Gebiete nicht sinnvoll und löse die Probleme der potenziellen Nutzer nicht. Dem muss entschieden widersprochen werden. Zwar ist es richtig, dass der ÖPNV weniger häufig als in der Stadt genutzt wird, jedoch sind gerade solche Menschen, die sich kein Auto leisten können, auf einen bezahlbaren Nahver- kehr angewiesen. Ohne Sozialticket stagnieren die Nutzerzahlen, was zu einer Angebotsverknappung der öffentlichen Verkehrsleistungen führt. Das wiederum zieht erneut sinkende Passagierzahlen nach sich. Die Verkehrsbetriebe sparen sich selbst kaputt! Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass für Flächenländer, Landkreise und Verkehrsverbundräume andere Lösun- gen als in einer Stadt gefunden werden müssen. Aber auch das fällt nicht vorrangig in den Aufgabenbereich einer Sozialticketinitiative. Sie kann ihre Kraft eher da- für verwenden, sich mit den Initiativen der angrenzen- den Kommunen zu vernetzen bzw. jene beim Aufbau ihrer Gruppe unterstützen und dann den Beschluss eines Sozialtickets im Parlament voranzutreiben.
Im Ruhrgebiet bspw. werden große Anstrengungen unternommen, das Sozialticket für ganze Verkehrsver- bünde einzuführen. Zu prüfen ist lediglich, ob auf dem Land eventuell auch rabattierte Wochen/ 4er-Karten angeboten werden sollten.
Welcher Betrag ist für Verkehrsleistungen im Regelsatz genau veranschlagt?
Wenn man sich mit der Aufteilung des Regelsatzes auseinandersetzt, stößt man auf mehrere Zahlen,
die für den Posten Verkehr kalkuliert sind. Insgesamt steht für alle Verkehrsleistungen zusammen ein Betrag von 19,20 € pro Monat zur Verfügung. Er setzt sich aus den Kosten für Fahrkarten im Nah- und Fern- verkehr, den Kosten für PKW-Haltung, Reparaturen für das Fahrrad usw. zusammen. Von Relevanz für die Kalkulation eines Sozialtickets ist allein die Summe, die das Bundesministerium für Arbeit und Soziales für „fremde Verkehrsdienstleistungen (ohne Luftverkehr/ ohne auf Reisen)“, sprich den Nahverkehr, vorsieht. Sie beträgt 11,04 € monatlich. Für den Fernverkehr (überregionale Fahrten im Reiseverkehr) sind 2,99 € im Monat bestimmt.
Was ist der Unterschied zwischen einem Sozialticket und einem Sozialpass?
In vielen Städten und Landkreisen gibt es den so- genannten Sozialpass. Jener erlaubt es bestimmte Kultur- und Freizeiteinrichtungen vergünstigt oder sogar kostenlos zu besuchen. In wenigen Städten gibt es zudem Rabatte auf die Monatskarte des jeweiligen Verkehrsunternehmens. Dann ist das Sozialticket Bestandteil des Sozialpasses. Das ist jedoch selten der Fall, oft ist das Sozialticket vom Sozialpass abge- koppelt. Kernforderung von Initiativen ist deshalb, das Sozialticket mit in den Sozialpass aufzunehmen.
Muss das Sozialticket als geldwerte Leistung angesehen werden, bzw. wird die Vergünstigung vom ALG-II abgezogen?
Nach Ansicht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales stellt ein Sozialticket lediglich einen geldwer- ten Vorteil dar, der nicht mit den Bezügen nach SGB
II und XII verrechnet wird. Anders ist die Rechtslage, wenn die Kommune oder der Verkehrsträger einen kostenlosen Fahrschein ausgibt, was als geldwerte Leistung betrachtet wird. Der Fahrschein wird dann vom Arbeitslosengeld II abgezogen. Daher ist die Forderung nach einem Nulltarif im ÖPNV ohne eine Änderung im Sozialgesetzbuch II derzeit nicht umsetz- bar. Sie würde zu Lasten der Betroffenen gehen.
Wer sollte Anspruch auf ein Sozialticket haben, bzw. welche Bedingungen sollten dafür erfüllt werden?
In der politischen Debatte werden Armutsrisikogren- zen für die Bestimmung von sehr niedrigen Einkom- men herangezogen. Nach dem Sozio-Oekonomischen Panel (SOEP) des Jahres 2006 betrug die Armutsrisi- kogrenze 880 Euro Netto für einen Alleinstehenden. Alle, die ein individuelles Einkommen unter dieser Grenze beziehen, sollten zum Adressatenkreis des Sozialtickets gehören.
Sind Ermäßigungen auf Einzelfahrscheine sinnvoll und überhaupt machbar?
Die Frage ist leider nicht eindeutig zu beantworten. Zu wenige Erfahrungen wurden auf diesem Gebiet bisher gesammelt. Grundsätzlich werden von Menschen mit geringem Einkommen natürlich auch Einzelfahrschei- ne nachgefragt, allerdings ist unklar, in welcher Zahl. Der Wunsch nach ermäßigten Einzelfahrscheinen scheint nicht so groß zu sein wie nach einer deut-
lich vergünstigten Monatskarte. Deshalb sollte die Einführung eines Sozialtickets im Vordergrund stehen. Unbestrittenes Problem für die Kommune ist der - im Gegensatz zum Sozialticket - größere Verwaltungsauf- wand. Das macht die Fahrkarte für die Kommune bzw. für die Betroffenen teuer. In Leipzig läuft derzeit eine Machbarkeitsstudie zum ermäßigten Einzelfahrschein